Histoire courte
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Eine Freundin für immer?

„Und, wer kann mir die Lösung verraten? Du vielleicht, Elisa?“
Zwei große braune Augen starren mich so erwartungsvoll an, als würde ich jeden Moment die Antwort auf die Frage, wo wir Menschen eigentlich herkommen, verraten. Stattdessen möchte der glatzköpfige Mann vor mir nur die Lösung irgendeiner mathematischen Gleichung hören. Erschrocken blicke ich in mein Buch. Keine Ahnung, wo wir gerade sind. Die ganze Zeit über war ich nur damit beschäftigt, mich selbst fertigzumachen und darüber nachzudenken, was ich heute mit meinem Tag anfangen sollte. Ich würde wahrscheinlich, wie jeden Nachmittag, einfach nur in mein Bett kriechen und ein Buch lesen. Was ein Mensch ohne Freunde eben so tat. Und selbst, wenn ich wüsste, welche Aufgabe Herr Galberts meint, würde ich ihm keine Antwort geben können. Das weiß er auch. Demütigen, vor der ganzen Klasse, das ist etwas, das ihm Spaß bereitet. Als genüge es nicht, dass mich sowieso bereits alle hassen.
Hilfesuchend blicke ich zu meiner Sitznachbarin. Klassenbeste. Aber macht natürlich nicht den leisesten Anschein, mir aus der Patsche helfen zu wollen. Warum auch? Sie kann mich, wie jeder andere hier, nicht leiden. Mittlerweile ist alles still. Selbst das Getuschel der Jungs vor mir ist verklungen. Alle starren mich an, als erwarten sie etwas von mir. Dabei wissen sie doch, dass ich nie etwas weiß. Und nie etwas sage.
Mein Gehirn ist leer. Wie immer, in brenzligen Situationen, wurde es gerade von einem unsichtbaren Geist leer gefegt.
Plötzlich geht die Tür auf. Ein Mädchen mit blonden kurzen Haaren, einem Lippen-Piercing, zerrissener Hose, Fingernägeln, mit denen sie diesem Lehrer die Augen auskratzen könnte, wenn sie mich retten wollte, steht da und lässt ihren Blick durch die Klasse schweifen. Dann wendet sie sich an Herrn Galberts. Kaugummi-kauend sagt sie: „Hi, ich bin Vanessa, die Neue. Sorry für die Verspätung.“
Meine Retterin.

Alle Augenpaare richten sich auf sie. Eine kurze Vorstellungsrunde folgt. Ich sage kleinlaut meinen Namen und verstecke mich wieder hinter meinem Buch.
„Suchen Sie sich einen freien Platz aus“, sagt Herr Galberts zu der Neuen. Sie hat eine große Auswahl: vielleicht neben der coolen Mädchen-Clique oder eher beim Klassenclown Cleb. Die wunderhübsche Maggy wäre auch noch da oder ganz hinten links der Kiffer Tom. Doch sie läuft nach hinten rechts, an den anderen vorbei, lässt sich neben mir auf den freien Platz plumpsen und fragt etwas zu spät: „Darf ich neben dir sitzen?“

Ich nicke verwirrt.
Warum hier? Okay, sie kennt mich noch nicht. In ein paar Tagen wird sie den Platz wechseln.
Oder täusche ich mich da? Zumindest war es bisher immer so.
Doch die kommenden Wochen zeigen mir, dass es diesmal anders zu sein scheint.
Wir werden mit der Zeit richtige Freunde und verstehen uns von Tag zu Tag besser.
Nun habe ich eine echte Freundin, die nicht ebenfalls eine Außenseiterin ist. Eine Außenseiterin, mit der man nur befreundet ist, weil man sich gegenseitig ausnutzt, um nicht alleine zu sein. Dann ist man allerdings nur ein Außenseiter-Doppelpaket und wird noch mehr verabscheut, weshalb der Sinn und Zweck dieser Freundschaft auch fraglich ist.

Nein, ich bekomme eine Freundin, die offen, witzig und beliebt ist und trotzdessen mich Dussel überall hin mitnimmt. In ihrer Anwesenheit werde auch ich lockerer, offener und witziger.
Vom Schlafen im Matheunterricht- bis hin zu Rodelbahn- und Karussellfahren, machen wir alles zusammen.

Das einzige, was uns von Grundschülern unterscheidet, ist das Alter und, dass wir ab und zu auch mal Dinge unternehmen, die 18-Jährige eben so tun: Party, Shisha-Bar und einem Typen Vanessa’s Nummer zustecken, der sie allerdings niemals anruft.

Ständig muss ich mir in den Bauch zwicken, um mir klar zu werden, dass all das kein Traum ist. Es stimmt. Ich habe tatsächlich eine richtige Freundin!
Trotz ihrer zwei Jobs, die sie neben der Schule leistet, ist sie immer für mich da.

Sie benötigt nämlich kaum Zeit für andere Dinge, wie zum Beispiel fürs Lernen. Sie wisse noch viel, da sie das Schuljahr schließlich zum zweiten Mal mache, sagt sie dann.
Obwohl sie eigentlich genau deswegen nicht so viel wissen kann.

Aber diesen Gedanken behalte ich besser für mich.
Im Sportunterricht tanzen wir zusammen unsere vieren und in Mathe schreiben wir gemeinsam unsere sechsen.
Bevor ich sie hatte, tanzte ich noch dreien und schrieb vieren, aber das macht nichts. Mein Leben ist nun trotzdem viel schöner.
Die Mitschüler schauen zu Vanessa auf und bewundern ihre Stärke. Sie aber mag die meisten aus der Klasse nicht, weil sie mich nie mochten, sagt sie.
Vanessa besitzt den Glauben, das Schicksal habe uns zusammengeführt.

Bereits im ersten Moment, als sie in die Klasse kam, wusste sie, dass sie sich zu mir setzt.
Das erste Mal in meinem Leben fühle ich mich wirklich angenommen und bestätigt.

Doch immer wieder kommen diese inneren Zweifel auf. Wo ist der Haken? Es kann nicht ewig so weiterlaufen. So viel Glück hatte ich noch nie.
Eine langfristige Freundschaft, das is etwas, das mir bis jetzt immer verwehrt geblieben ist und vermutlich auch so bleibt.

Irgendwann haben immerhin alle gemerkt, dass ich seltsam, dumm und wohl einfach zu schüchtern bin.
Komischerweise tritt diese Schüchternheit bei Vanessa nur selten auf. Vielleicht sind wir wirklich Seelenverwandte, wie sie es sagt.

Und möglicherweise habe ich deswegen diese starke Angst, etwas falsch zu machen und sie zu verlieren.
Sie behandelt mich, wie mich noch nie jemand behandelt hat und ich kann es auch nach neun Monaten immer noch nicht so ganz begreifen.

Jeden Tag aufs Neue wundere ich mich darüber.
Ich muss die Zeit genießen und nicht so viel grübeln, sage ich mir immer wieder. Bald, wenn wir mit ihrem Cabrio, das sie sich in wenigen Tagen kaufen wird, durch die Gegend fahren und der Wind unsere Haare zerzaust, kann ich unsere Zeit hoffentlich so richtig auskosten. In dem Cabrio, für das sie Monate lang hart gearbeitet und jeden Cent zur Seite gelegt hat.
„Wir fahren dann ganz viel damit herum! In den Urlaub, zum Shoppen in eine schöne Stadt, zum See und wieder auf die Rodelbahn!“, sagt sie eifrig mit einem strahlenden Gesicht zu mir.

17. Juli. Matheklausur. Danach ist es endlich so weit. Bei Vanessa und mir endet die Klausur eine halbe Stunde vor Schluss, während ich bei den anderen beobachten kann, wie sie schwitzen und keine Zeit haben, ihren Mund mit der Wasserflasche, die neben ihnen steht, zu bewässern.

Mir ist es egal, dass ich vermutlich eine sechs bekomme und Vanessa, wie es aussieht, ebenfalls. Wir denken nur an das Auto, das wir gleich abholen. Als erstes zu Burger King, sind wir uns einig, als Vanessa endlich hinterm Steuer sitzt und aufs Gaspedal tritt.

Sie weigert sich, durch den Drive-In zu fahren. Hat Angst, mit den Felgen hängenzubleiben. Nicht, dass sie gleich am ersten Tag ihr Auto demoliert, sagt sie lachend. Das wäre die größte Katastrophe.
Also bestelle ich drinnen, während Vanessa im Cabrio sitzen bleibt und schon mal das Dach hinunter schiebt.

„Zwei Chicken-Burger, Zwei Cheeseburger, ein Hamburger, eine Cola und eine große Pommes mit Ketchup bitte“, rattere ich herunter. Habe ich auch nichts vergessen?
„Zum Hieressen?“

„Nein, zum Mitnehmen, bitte“, stottere ich. Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher. Wollten wir wirklich zum Mitnehmen bestellen oder hatte Vanessa vor, gleich reinzukommen? Nein, sie wartet doch im Auto und lässt gerade das Dach hinunter, rufe ich mir wieder in Erinnerung. Ich bin überfordert. Zu viele Menschen hier.

Ungeduldig warte ich. Irgendwann reicht die Bedienung mir ein Tablet. Sie hat es nicht eingepackt. Habe ich nicht zum Mitnehmen gesagt? Oder war ich zu leise? Egal. Ich stapele das Essen und balanciere es ins Auto.
Dort atme ich erst einmal aus.

Vanessa strahlt mich an. „Sorry, wenn dich die Situation mal wieder überfordert hat. Nächstes Mal bestelle ich“, sagt sie. „Wollen wir gleich hier im Auto essen? Hab einen Bärenhunger.“
„Nein, lass uns doch lieber zu unserer Lieblingswiese fahren, oder? Dauert ja nicht lange.“

Sie nickt und fährt los.
Ich spüre den Wind auf meiner Haut. Er ist angenehm kühl.
Ich schaue aus dem Fenster. Sehe, wie wir an Häusern vorbeisausen, an Bäumen und an der Bushaltestelle, an der wir sonst immer gefühlte Stunden warten, bis wir endlich nach Hause kommen.
Und plötzlich entdecke ich Mira, unsere Klassenkameradin. Eine der einzigen, die mittlerweile sogar mich akzeptiert. Glaube ich zumindest. Ich rufe zu Vanessa: „Schau mal, da ist Mira! Hup mal!“ und zeige in ihre Richtung. Vanessa folgt meinem Finger und fängt an zu hupen. Mira schaut freudig und winkt uns mit der Hand, die nicht den Packen Zeitung hält, den sie vermutlich gerade austrägt.
Einen Augenblick später höre ich einen lautstarken Knall. Ich werde vor und zurück geschleudert, Pommes landen auf meinem Schoß, Cola auf meinem T-Shirt und zwei Airbags platzen auf.
Vanessa fängt an zu schreien, beschimpft mich und ich begreife erst, als eine empörende Frau mit einem brüllenden Kind auf dem Arm aus dem Auto vor uns herauskommt, was geschehen ist.
Ich steige aus, kotze erst einmal auf den Bürgersteig, sehe Mira aus den Augenwinkeln zu uns rennen und begutachte schließlich das Cabrio. Ein Totalschaden. Hundertprozentig. Das Auto vor uns hat eine kleine Delle. Vanessa schließt sich dem Kind an. Keine Ahnung, wer lauter brüllt. Die Frau schimpft nicht mehr mit Vanessa, sondern nimmt sie in den Arm.

Ich bin Schuld. Wieder werde ich eine Freundin verlieren. Das war klar. Es konnte nicht mehr lange gut gehen.
Meine weiße Hose hat, wie mein T-Shirt, Ketchup- und Colaflecken und klebt, was ich bemerke, als ich meine schweißnassen Hände daran abschmieren möchte.

Hätten wir nur dort gegessen.
Ein Augenblick später und vielleicht wäre alles anders. Zum Glück sind wir unversehrt, doch was ist mit unserer Freundschaft ?
Immer mach ich alles falsch...

21 Février 2023 14:15 0 Rapport Incorporer 0
La fin

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