Auf dem schmalen Balkon saß er nun schweigend da; der Mond tauchte die Welt in ein blaues Licht.
In den Fenstern war die Spiegelung hell und strahlend zu sehen. Geblendet musste er die Hand
vorhalten, als die Kälte ihm die Knöchel verbrannte. Wie viele Stunden musste er wohl schon so hier
gesessen haben. Eine Schachtel Streichhölzer wanderte zwischen seinen Händen umher, ab und an
entfachte er eines und wärmte die andere Hand daran. Ihr Fenster war unbeleuchtet, lag nur so da
inmitten der Häuserfassaden. Nicht, dass er sie so hätte sehen wollen. Nein, das könne man nicht.
Doch eine gewisse Sicherheit lag darin, wenigstens das Fenster zu beobachten, hinter welchem er ihr
Zimmer wusste. Die Tage wurden immer kürzer, aber dort sitzen konnte er gewohnt lang. Oft merkte
er nicht einmal, was er da tat. Und dann saß er wieder dort, die Schachtel wanderte, dann begann er zu frieren, und doch
blieb er. Auch wenn sie nicht ihr Licht betätigte, auch wenn er sie nicht sah. Man sagt, wer liebt, der
wartet, und da er sein Zeitgefühl nicht wiederfinden konnte, wartete er. Bald muss sie da sein. Die
Gewächse des Balkons wurden wegen des harten Frostes schon nach drinnen geholt; jedes Mal
wünschte er sich eine etwas dickere Jacke, als er, wie jeden Abend, hinausging. Es war auch einmal
Frühling, sagte seine Erinnerung. Die Luft war warm und frisch, die Sonne schien golden auf die Erde
herunter. Da habe er sie zum ersten Mal getroffen. Wie eine Blüte selbst habe sie ausgesehen; oft
wollte er sie besuchen. Doch auch sie hatte ihre Termine, und so war jede Stunde, die sie sich doch
für ihn nahm, eine ganz besondere. Die Zeit wurde vergessen, die Pflichten auch, und doch glaubte er
nie an die wahre Liebe. Jetzt wo sie weg ist, setzt er sich jeden Tag auf seinen Balkon. Denn er kann zu
ihr hinübersehen. Wenn er lang genug hinschaut, brennt auch manchmal Licht. Dann schaut sie ihn
an und lächelt. Aber schwer ist es schon, weil er nicht blinzeln darf. Denn dann macht sie ihr Licht
aus und lässt sich tagelang nicht mehr blicken.
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