Ich atme. Noch. Sanft streiche ich mit der Hand über die Gerstenhalme. Der Wind fährt sachte über das Feld. Ich atme das letzte Mal aus, wie eine Kerze ausgeht und den Raum unwillkürlich in Düsternis hüllt.
Ich werde in die Notaufnahme geschoben. Flach, hebt und senkt sich mein Oberkörper. Noch immer im Schockzustand. Sanfte, schmale Hände schieben mir eine Nadel in den Oberarm. Kurz darauf haftet eine Wasserinfusion an meinem rechten Arm. Ich sehe auf. Die junge Krankenschwester verlässt eben das Zimmer. Neben mir keucht jemand und erbricht. Die Patientin, eine ältere Dame wirft mir einen beschämten Blick zu. Ich schaue weg. Die Krankenschwester betritt erneut das Zimmer. In Begleitung eines blonden staatlich wirkenden Mannes. Er sieht ungewöhnlich -gut aus. Sie gehen in meine Richtung. Noch eine zweite, junge Krankenschwester betritt den Raum. "Hallo", der Mann sieht mich an. Ich erschaudere. Klare und große kalte graublaue Augen fixieren mich. "-Hallo", erwidere ich zögerlich. "Ich bin Doktor Selvin Quentin. Was hast du für Schmerzen?" Der junge Arzt schüttelt meine Hand. Ein wenig zufest. Mir kriechen kalte Schauer über den Rücken. Auf dem ersten Blick wirkte er fast schon normal, wäre da nicht diese eisige Kälte die seine ganze Aura wie einen eiskalten Stein im Winter, umhüllte. Seltsamerweise kann ich diesen großen Augen nicht ausweichen. Ich bin...wie hypnotisiert von ihnen. Dr. Quentin beugt sich über mich. "Ziehen Sie bitte den Pullover ein bisschen hoch. Ich muss Ihnen die Lunge abhören." Er hatte einen britischen Akzent. Ich ziehe beschämt den Pulli hoch und schaue weg als er mir mit dem Herzabhörgerät und mit sanften Fingern über den Rücken tastet. Danach ziehe ich dankbar den Pullover wieder hinunter und unsere Blicke begegnen sich. Wie hypnotisiert starre ich ihn an. Da klopft es. Erst jetzt bemerke ich dass wir alleine im Zimmer gewesen waren. Die ältere Dame war soeben entlassen worden. "Ist hier eine Frau Stella Jensen -stationiert?", der Mann sieht mich fragend an. "Ja!"
Jäh, so als hätte ich mich daran verbrannt, legte ich Stellas Tagebuch auf den Nachttisch. Stellas, fein säuberliche Schrift war ein wenig aus den Fugen geraten als sie von Quentin angefangen hatte zu berichten. Heute war Sonntag. Ich musste noch mit meinen beiden Töchtern Jana, Helena, Gabriela und ihrem Mann Jakob in die Kirche. Es war mir wichtig. Auch wenn sich Jonas Gebb mein Schwiegersohn deswegen heimlich lustig darüber machte und mich "die komische gläubige Tante", nannte. Na und! Sollte er nur. Ich ging immerhin nur einmal im Monat in die orthodoxe Kirche. Natürlich um für meine tote Schwester zu beten, die schon eine Weile unter der Erde weilte. Traurig sah ich aus dem Fenster. Es schneite. Plötzlich packte mich die Vergangenheit mit rohen und klammernden Fingern. Ich sah das Gesicht meiner Schwester. Ihre Rehbraunen, großen freundlichen Augen. Ihr fröhliches Lächeln. Unwillkürlich traten Tränen in meine Augen."Oh je", sagte ich und presste mir ein Stofftaschentuch an den Mund. In letzter Zeit suchte mich öfter die Vergangenheit ein und das mit einem guten Grund. Heute war der 10 Januar. Stellas Todestag.
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