svenja-fojut1677059836 Svenja Fojut

Ein Mörder. Eine junge Frau. Und zwei Zeitebenen, die ineinander verschwimmen. 1998: Eine Mordserie hält Kiel in Atem. Die Angst vor dem Ostseekiller geht um. Auf bestialische Weise ermordet dieser vier Frauen und hinterlässt dabei nicht den Hauch einer Spur. Erst als eine fünfte Tote gefunden wird, scheint er endlich einen Fehler begangen zu haben ... 2022: Eine junge Frau fällt am Strand in Ohnmacht. Mit einem metallischen Geschmack im Mund und einem seltsamen Geruch in der Nase kommt sie wieder zu sich. Fortan wird sie von Flashbacks und Erinnerungsfetzen verfolgt, die nicht aus ihrem Bewusstsein zu stammen scheinen. Sie versucht, den Ursprung der Bilder in ihrem Kopf auf die Spur zu kommen, und landet dabei in einem Strudel aus Geheimnissen. Und diese hätten besser im Sand der Ostseestrände vergraben bleiben sollen ... Triggerwarnung beachten. Kapitel, in denen besonders viele triggernde Elemente vorkommen, sind mit einem "!" vor dem Kapitelnamen gekennzeichnet.


Thriller Nicht für Kinder unter 13 Jahren.

#Erinnerungen #youngadult #newadult #kiel #mord #Geheimnisse #thriller #mystery
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Im Fortschritt - Neues Kapitel Every week
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Prolog - Der Ostseemörder

~Montag, 03. August 1998 ~


Lea Fuchs sah die Leiche schon von Weitem.

An dem weitläufigen Strand wirkte der Körper, der einige Meter vor der Grenze zum Wasser auf dem Sand lag, wie ein seltsam geformtes Stück Treibholz. Die Kriminalkommissarin wünschte sich so sehr, dass es tatsächlich nur ein übergroßer Ast wäre, der hier an diesem grauen, herandämmernden Mittwochmorgen ans Ufer gespült wurde. Doch in diesen blutgetränkten Tagen des Jahres 1998 half kein Hoffen. Das wusste sie als Polizistin besser als jeder andere.

Ohnehin genügte ein Blick auf die Szenerie vor ihr, um zu wissen, dass hier, im sonst so beschaulichen Schwedeneck, etwas Schreckliches passiert sein musste. Zahlreiche in weiß gekleideten Personen schwirrten am Strand umher, sperrten zügig und routiniert den Bereich um den leblosen Körper ab, errichteten Sichtschutzwände und suchten erste Spuren.

Fuchs zog ein schwarzes Haargummi von ihrem Unterarm, umschloss mit der einen Hand ihre langen, roten Haare, band sie mit der anderen zu einem Dutt zusammen und stülpte sich danach die weiße Kapuze ihres Schutzanzuges über. Sie hasste dieses Plastikteile. Selbst hier in der Nähe von Kiel, wo es nur in Ausnahmefällen Temperaturen gab, die die Bezeichnung „warm" verdienten, schwitze sie immer darunter.

Ein letztes Mal kontrollierte Fuchs ihre Schutzkleidung, dann atmete sie tief ein und wappnete sich für den Anblick, der sich ihr gleich bieten würde. Sie tauchte unter dem Absperrband durch und ging in Richtung ihrer Kollegen.


„Moin“, mit einem knappen Nicken begrüßte sie die Anwesenden. Nicht das kleinste Lächeln stahl sich bei der Begrüßung auf ihre schmalen Lippen. „Ist der Bereich um das Opfer schon freigegeben?“

Ein schmächtiger, kleiner Mann der zur Spurensicherung gehörte und dessen Namen sich Fuchs nie merken konnte, hob den Daumen und sie trat weiter hervor.

Erst jetzt nahm die Kommissarin wahr, dass sie sich die Frage auch hätte schenken können, denn neben der Leiche hockte bereits ihr Kollege, Kriminalkommissar Theo Wolf.

Dass sie beide Tiernamen hatten, war der Running Gag unter den Kollegen. „Wolf und Fuchs: Die tierischsten Ermittler der Mordkommission.“ Welch toller Witz!

Befeuert wurden die Witzeleien noch dadurch, dass beide ihren Nachnamen auch noch mit ihrem Aussehen alle Ehre machten. Fuchs mit ihrer feinen Nase und den roten Haaren, in die sich langsam weiße Strähnchen zu mischen begannen. Wolf mit der muskulösen Statur, den grauen Augen und den wilden, buschigen, dunklen Haaren, die im Moment unter der Kapuze seines Anzuges versteckt waren. Nur eine aufmüpfige Strähne fiel vor sein Gesicht.

„Was haben wir?“, fragte sie.

„Eine junge Frau. Zwanzig bis dreißig Jahre alt. Ihr wurde die Kehle durchtrennt“, antwortete Wolf, ohne aufzublicken. Fuchs wusste, dass der Kriminalkommissar dabei war, sich jede Feinheit der Auffindesituation des Opfers einzuprägen, so gut es ging. „Jedes kleinste Detail kann der entscheidende Hinweis sein“, pflegte er zu sagen. „Ein Spaziergänger hat sie im Wasser treiben gesehen und an Land gezogen. Er steht unter Schock und wird medizinisch versorgt.“

„Kein Wunder“, überlegte Fuchs. Diese Leiche war wirklich kein schöner Anblick. Beim Betrachten des Opfers wurde selbst ihr übel. Und das, obwohl sie schon so lange im Dienst war.

Die mit einer dunklen Jeans und einem blutgetränkten blauen T-Shirt bekleidete Frau lag auf der Seite. Ihre Hände und Füße waren mit einem Seil verknotet und vor dem Körper miteinander verbunden, sodass ihre Gliedmaßen und der Rumpf ein groteskes Dreieck bildeten. An ihrem Hals war ein gerader roter Schnitt zu erkennen. Die Haut, die dort eigentlich sein sollte, war auf beiden Seiten der Wunde angeschwollen und ließ den Bereich um die Wunde aussehen, wie eine wulstige Lippe.

„Sie war noch nicht lange im Wasser. Keinerlei Anzeichen von Algen oder Fischfraß. Ihre Haut sieht eher aus, wie nach einem zu langen heißen Bad“, stellte Fuchs fest und beugte sich über den Kopf der Toten. „Ihr Gesicht ist aufgedunsen, aber ihre Gesichtszüge sind noch gut erkennbar.“

Fuchs versuchte, sich vorzustellen wie die Tote noch vor wenigen Stunden ausgesehen haben musste. Das aschfahle Antlitz hatte da noch rosige Wangen und eine ebenmäßige Haut gehabt. Die kleine Stupsnase war der kecke Mittelpunkt ihres Gesichtes gewesen und die starren, tiefblauen Augen hatten voll Lebendigkeit gestrahlt. Das mittellange, dunkle Haar, das ihr nun nass am Kopf klebte und bloß von der einen oder anderen Windböe durcheinandergewirbelt wurde, musste in lockigen Wellen über ihre schmalen Schultern gefallen sein.

„Sie war wunderschön“, konstatierte Fuchs.

„Das war sie“, bestätigte Wolf. „Hoffentlich findet die Gerichtsmedizin oder die Spurensicherung einen Hinweis auf dieses Schwein. Du würdest doch auch sagen, dass das hier sein Werk ist, oder?“

Die Hauptkommissarin wandte sich von der Miene des Opfers ab, und sich den Händen zu. Um Wolfs Frage wirklich beantworten zu können, musste sie einen Blick auf die verdrehte linke Hand der Frau werfen. Vorsichtig ging sie in die Knie. Immer darauf bedacht, die Leiche nicht zu berühren oder zu bewegen. Auch wenn die SpuSi diesen Bereich bereits freigegeben hatte, auf keinen Fall wollte sie die Gefahr eingehen, eine Spur an dem Körper der Frau zu verfälschen.

„Es sieht ganz danach aus“, beantwortete Fuchs Wolfs Frage, nachdem sie sich beim Inspizieren der Hand des Opfers fast den Hals verdreht hätte, „der Fingernagel des Zeigefingers der linken Hand fehlt. Dieses Detail kann kein Nachahmungstäter wissen.“

„Verdammte Scheiße!“, fluchte Wolf und schlug mit der Faust in den Sand. Unter normalen Umständen hätte ihm ein solch impulsives Verhalten eine Rüge von Fuchs eingebracht. Aber was war in diesen Zeiten schon normal? Sie sah, wie sich die Stirn von Wolf vor Zorn verzog. „Fünf Opfer und wir haben noch nicht mal den Hauch einer Spur!“

„Eventuell hat er ja dieses Mal tatsächlich einen Fehler gemacht. Zumindest sieht es so aus, als ob er bei der Tatausführung überrascht wurde“, sinnierte Fuchs laut und senkte ihre Nase noch näher auf die geknebelten Hände herab. „Siehst du die Knoten, sie sehen irgendwie anders aus, als bei den anderen Frauen, findest du nicht? Und außerdem…“, sie hob den Kopf wieder und zog die Augenbrauen nachdenklich zusammen, „…hat er hat seine Inszenierung nicht zu Ende geführt. Ihr Haar ist noch perfekt geschnitten. Wie frisch vom Friseur. Er ist nicht dazu gekommen, sein Werk zu vollenden. Vielleicht ist er unvorsichtig geworden oder er war kurz davor, erwischt zu werden. Vielleicht hat jemand etwas gesehen.“

„Beten wir dafür“, sagte Wolf, „beten wir dafür, dass wir den Ostseemörder endlich schnappen und dieses arme Mädchen sein letztes Opfer war.“

22. Februar 2023 14:27 0 Bericht Einbetten Follow einer Story
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